Dienstag, 15. September 2015

1945: So wurde ein Kommunist von den Kommunisten erschossen

Der Tod eines Straßenbahnfahrers in Ost-Berlin durch die russische Besatzungsmacht

Ich möchte Euch als jemand, die in einem Alter ist, wo es noch viele Berichte von den eigenen Verwandten aus dem 2. Weltkrieg gab, noch ein bisschen mehr über den Krieg, die Gründe für die Flucht in den Westen, die schwere Nachkriegszeit und die Zustände nach dem Krieg in der Ex-DDR erzählen.

Ich mache das, weil ich gerade jetzt einmal verdeutlichen möchte, was Angst und Not, Lebensgefahr, Hunger, Elend und Hilfe im letzten Moment und die Dankbarkeit dafür, überhaupt überlebt zu haben, eigentlich wirklich bedeutet.

Ich gehöre zu den Menschen, die gerne ausführlich und viel reden oder schreiben. Das ist sicherlich erblich und meine Verwandten konnten genauso gut und ausführlich erklären, was sie im Krieg und als Flüchtlinge alles erlebt haben.

In diesem Bericht geht es um Opas Bruder Walter Hafemann und seine Ehefrau Uschi.

Onkel Walter war anders als mein Großvater Friedrich Hafemann Zeit seines Lebens ein überzeugter und aktiver Kommunist. Als er noch als LKW-Fahrer weite Strecken durch das Land fuhr, entdeckte er als erster im Dorf, wo sie damals lebten (ich muss Euch manche Details, auch den Namen dieses Dorfes, schuldig bleiben, denn Tote kann ich nicht mehr fragen, wenn ich etwas vergessen habe) .. es war noch irgendwo in Hinterpommern in der Nähe des Geburtsortes der beiden, nämlich nahe Karnitz .. weit draußen eine Grube mit teils toten, teils noch nicht ganz toten Menschen, die angeschossen in dieser Grube mit dem Tod rangen.

Onkel Walter war entsetzt und berichtete im Dorf, was er da gesehen hatte. So wurde die Bevölkerung dort darauf aufmerksam, dass die Nazis begonnen hatten, Juden zu ermorden und reihenweise auf diese grausame Art und Weise hinzurichten. Onkel Walter kämpfte bis zum Kriegsende im Untergrund und hatte deshalb auch keine Angst vor den russischen Besatzungstruppen, als sie Hitler besiegt hatten. Er blieb mit seiner Frau Uschi in Berlin, als die Russen kamen.

In der Zwischenzeit war Onkel Walter nicht mehr Lasterfahrer, sondern arbeitete in Berlin als Strapenbahnfahrer. Er trug eine kunterbunte Uniform, eben die der Berliner Straßenbahnfahrer.

Wenn meine Mutter Opas Schwester Grete und ihre Kinder und Tante Uschi und Onkel Walter in Berlin besuchen fuhr, dann brachte sie oft statt Tante Uschi Onkel Walter mittags sein warmes Mittagessen direkt in die Straßenbahn. Wenn er aß, fuhr sie eine Runde mit ihm mit und stieg dann wieder aus.

Wie ich schon erzählt habe, ist meine Familie in regelrechter Panik Hals über Kopf gen Westen geflüchtet, kurz bevor die Russen kamen, und weil sie nur aus Mecklenburg (ich glaube aus Wentow, bin aber nicht sicher, denn sie sind mehrmals umgezogen vor dem Krieg) flüchten mussten, schafften sie es auch noch knapp über die Demarkationslinie nach Schleswig-Holstein zu den rettenden Engländern, die meisten anderen Verwandten meiner Großeltern, die aus Hinterpommern aufbrachen, leider nicht mehr. Die mussten in der Ex-DDR bleiben, und das bis zur Wende.

Onkel Walter und Tante Uschi blieben da und hofften auf ein schönes Leben unter den Kommunisten. Onkel Walter hat das leider nicht erleben dürfen, denn er wurde mit seiner tollen Uniform aufgegriffen und sofort verhaftet. Er wollte den Russen erklären, dass er doch nur Straßenbahnfahrer war, aber sie hörten nicht zu und sagten immer: "Faschist, Marineoffizier." Das wurde Tante Uschi später von jemand berichtet, der diese Verhaftung überlebt hat. Onkel Walter überlebte sie nicht. Er bekam Angst und versuchte, über eine Mauer zu klettern, als ihn die Russen auf der Flucht in den Rücken schossen.

Tante Uschi suchte später, als etwas Ruhe in Ost-Berlin eingekehrt war und die Menschen endlich ihre Toten begraben konnten, lange nach der Leiche ihres Mannes, der von den russischen Besatzern irgendwo verscharrt worden war. Die Menschen scharrten diese Massengräber auf, um ihre Toten in richtige Gräber umbetten zu lassen.

Meine Oma hat immer gut stricken können. Ihr Vater war ja in Hinterpommern Schäfer gewiesen und sie hatten unter anderem davon gelebt, für die Menschen dort Kleidung zu stricken. Auch Onkel Walter trug die gestrickten Strümpfe von meiner Oma.

Tante Uschi fand beim Buddeln nach seiner Leiche zuerst seine Füße. Als sie ihm die Schuhe auszog, erkannte sie an den Socken von Oma, dass es ihr Mann Walter sein musste, den sie da ausgegraben hatte. Sie konnte ihn dann endlich begraben.

Tante Uschi war danach nicht mehr vom Kommunismus überzeugt, aber hat in Ost-Berlin bleiben müssen, denn eine Flucht aus der Ex-DDR war ja wie wir alle wissen auch lebensgefährlich.

Als ich ein Kind war, haben wir sie häufig dort besucht.

LG
Renate

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