Ein praktisches Beispiel, das zum Nachdenken über die Realität anregen soll
Till Schweiger wundert sich, warum viele Menschen auf seiner Facebook-Seite auf einen simplen Spendenaufruf für die aktuellen Flüchtlinge aus dem afrikanischen Raum so aggressiv reagiert haben und ist wütend auf die herzlosen Deutschen, denen es ja so gut geht. - Siehe Link dazu ganz unten!
Lieber Till Schweiger, vor einer Weile kamen viele Menschen aus dem Ostblockgebiet als Flüchtlinge hierher und waren damals genauso in Not wie heute die Afrikaner.
Viele davon sind meine Nachbarn und haben noch größere Probleme in Hartz-IV-Deutschland als die Millionen Deutschen selbst, die hier auch von Sozialhilfe und ALG II pur oder als Aufstocker überleben müssen, weil sie sich nicht auskennen und ihnen nach der zunächst herzlichen Aufnahme und Hilfe dann kein Schwein mehr hilft klarzukommen.
Weil man das meistens viel besser versteht, erzähle ich Dir das anhand eines einzelnen Beispiels einer ehemaligen Nachbarin, der ich unlängst versucht habe zu helfen. Ob ihr Freund, der in Deutschland geboren wurde, aber asiatische Wurzeln hat und nicht ungebildet ist, das hinkriegen wird, ihre Probleme zu lösen, ich habe keine Ahnung, hab nur versucht durchzublicken und Ratschläge zu geben.
Denn lieber Till .. um in Deutschland die Bürokratie bei vielen Problemen, die Sozialhilfe- und Hartz-IV-Empfänger haben überhaupt zu kapieren, reicht oft ja nichtmal ein Studium aus.
Wenn Du das noch nicht selbst erlebt hast, wirst Du es gar nicht begreifen, denn dazu musst Du jahrelang arm sein und damit konfrontiert werden. Trotzdem hoffe ich, Du wirst es verstehen, wenn ich Dir jetzt erzähle, was diese Frau für Probleme hat.
............................................................................................................................
Die junge Frau aus dem Ostblock ist wie viele meiner Nachbarn aufgrund der politischen Lage irgendwann hier aufgeschlagen. Sie war verheiratet, ist geschieden, hat einen mittelgroßen Sohn, mit dem sie hier in der Wohnung über uns von 2010 - 2013 gewohnt hat. Sie hat in der Zeit wie wir Hartz IV bezogen und bezieht auch immer noch Hartz IV. Sie lebt mit ihrem Partner nicht zusammen, der soweit ich weiß einen Beruf hat. Warum ist klar. Wir haben in Deutschland ja die Bedarfsgemeinschaft, die die meisten Menschen daran hindert, sich wirklich mit einem anderen Hartz-IV-Empfänger zusammenzutun, also offiziell, auch wenn es inoffiziell längst so aussieht, dass man ein Paar ist.
Als sie hier einzog, stand dieser Wohnblock unter Insolvenzverwaltung. Die Wohnungen waren damals noch Hartz-IV-fähig, da die Wohnblocks hier nicht an Immobilienspekulanten verkauft worden waren und soweit ich weiß auch noch an die inzwischen nicht mehr vorhandene Mietpreisbindung gebunden waren, also nicht über dem Sozialhilfesatz liegen durften.
Es gab beim Hartz IV und der Sozialhilfe damals noch nicht die Bindung an die sogenannte Bruttokaltmiete, sondern die Kaltmiete war ausschlaggebend dafür, ob man eine Wohnung mieten durfte oder nicht.
Die Vermieter nutzten das damals dann so aus, dass sie natürlich wenig Kaltmiete und viele Nebenkosten berechnet haben. Damit das zuerst nicht zu krass ausschaut, die Nebenkosten sehr niedrig, der Rest wurde dann am Jahresende nachgefordert. Die Ämter haben das, wenn man es eingereicht hat, früher auch klaglos bezahlt.
Vorausgesetzt, dass man es eingereicht hat und auch verstanden, was man da eigentlich für Post kriegt.
Diese junge Frau aus dem Ostblock spricht so gut deutsch wie wenige der Russen, Polen, Rumänen usw. es hier tun. Ich habe mich immer recht gut mit ihr unterhalten können. Trotzdem hat sie beim Eingang der Post mit der Nebenkostenabrechnung und Nachforderung nie begriffen, dass sie damit zum Jobcenter gehen und es einreichen muss, damit sie diese Summe dem Vermieter nachzahlen kann.
Die gesamte Nebenkosten- und Heizkostenabrechnung ist ohnehin so kompliziert, dass auch wir da noch nie durchgeblickt haben. Man versteht es schlicht nicht, was da alles gefordert wird und ob das so angehen kann. Mein Mann und ich haben beide Abitur und studiert.
Nun waren wir zumindest gebildet genug und erfahren genug in Deutschland, dass wir schon kapiert haben, dass wir diese Nachforderung dem Jobcenter einreichen und dieses Geld eben auch bezahlen müssen.
Die junge Frau konnte das nicht verstehen, also hat sie inzwischen mehrere tausend Euro an Mietschulden aus dieser Zeit, und zwar bis heute, obwohl sie schon im Sommer 2013 hier ausgezogen ist.
Sie hat gedacht, Miete sei Miete. Wie das in ihrem Heimatland ist, ich habe keine Ahnung. Möglicherweise ist es dort nicht üblich, Nebenkosten in vierstelliger Summe am Ende eines Abrechnungszeitraumes viel später als angefallen nachzufordern.
Sie hat die Mahnungen der diversen Hausverwaltungen, der späteren Zwangsverwaltung und auch der neuen Hausverwaltung nach Verkauf dieser Wohnblocks genauso wenig verstehen können wie sie in der Lage wäre, sich trotz vorhandenem Internet durch Googeln Infos zu suchen, ob sie sich gegen manche Dinge wie eine verspätet eingetroffene Nebenkostenabrechnung, das Problem der ständig defekten Heizungsanlage hier .. überhaupt extrem hoher Nebenkosten, die im Mietvertrag so nie angegeben waren usw. überhaupt wehren könnte.
Auf Prozesskostenhilfe zu hoffen .. ich sehe da schwarz. Bei so wenig Geld tut kein Anwalt wirklich was für einen .... da ist man selbst meistens vor den Gerichten besser beraten als sich unter solchen Umständen einen Rechtsanwalt zu suchen. Die meisten Anwälte arbeiten nicht viel für Läusebeine und werden sich in so einem Fall nicht genug Mühe geben, dass sie überhaupt eine Chance hätte.
Es ist ihr hier unter anderem schon passiert, dass man ihr den Strom abgestellt hatte, hat sie mir erzählt .. sie hat also schon schlimme Sachen durch.
Man hat sie zum Arbeiten in ein Callcenter gesteckt, wo sie noch mehr Probleme hatte als die meisten deutschen Call-Center-Agents, denn sie wurde zusätzlich wegen ihres Ostblock-Dialekts laufend beschimpft und ist da nervlich zusammengebrochen, obwohl sie ja recht gut deutsch kann.
Sie sagte auch, von ihren Freibeträgen war ja nichts übrig, weil sie alles in die Fahrkarte nach Kiel stecken musste . so wie wir Deutschen das auch kennen .. und natürlich hat sie der geringe Stundenlohn im Callcenter nicht vom ALG-II weg gebracht, sie musste aufstocken wie wir und hatte nicht mehr als vorher, nur die gleichen Probleme weiterhin.
Das kennen wir armen Deutschen alle auch.
Als wir hier eine Mieterhöhung bekommen haben, hat sie unterschrieben .. sie musste so sofort raus .. lebt nun irgendwo in Kiel. Wie sie da klarkommt, ich weiß es nicht .. sie hat einen Freund, der hier geboren wurde, wie gesagt genetisch eigentlich auch Ausländer .. irgendwie schlagen sie sich durch und sie hat so Hilfe. Ohne diesen Mann wäre sie vermutlich schon noch viel schlimmer dran, weil sie sich nicht ausreichend verständigen kann, obwohl sie gut deutsch spricht. Dafür ist unsere Bürokratie aber zu kompliziert und es hilft einem nirgends jemand ... weder der Fallmanager hat Zeit dazu, der sowieso ständig wechselt noch hilft irgendeiner dieser schwachsinnigen Bewerbungstrainingskurse den Menschen aus dem Ausland, mit derartigen Schwierigkeiten fertig zu werden.
Wir liegen jetzt hier mit der Miete über dem Sozialhilfesatz ... die Ausländer aus Russland und den umliegenden Staaten haben genauso wie wir Deutschen alle die Aufforderung bekommen, sich eine andere Wohnung zu suchen .. man kürzt uns den Mietsatz, weil wir angeblich nicht danach suchen.
In die noch bezahlbaren Wohnungen kommen aber inzwischen nur noch neue Flüchtlinge rein.
Denen wird es später nicht besser gehen als uns Deutschen und den Russen oder anderen Ausländern hier ... am besten stehen noch die Behinderten mit einem Betreuer da, die ein bisschen Schutz haben.
Blickst Du noch durch, lieber Till Schweiger?
Dieser Frau geht es heute genauso dreckig wie Millionen von Deutschen, die in diesem Land geboren worden sind und komplett überfordert mit der Bürokratie in diesem Staat, mit zu wenig Geld, keinen Aussichten auf einen Job, von dem man auch ohne aufzustocken leben kann und und und ....
Wenn Ihr helfen wollt, dann müsst Ihr, die ihr nicht som Sozi-Satz dahin vegetiert, sondern wie Du auch viel Kohle habt, mal selbst in die Tasche greifen oder politischen Druck ausüben.
Da hilft es nicht, den Flüchtlingen ne Zahnbürste oder ein Stück Seife oder nen Schokoriegel zur Begrüßung in ein Willkommens-Paket zu packen oder dafür zu sorgen, dass sie zu Beginn ihres Lebens hier mit Taschengeld und pi pa po noch mehr Geld als die sonstigen Sozialschwachen kriegen, was die nur zu Recht sehr wütend macht .. helfen wird ihnen nur, wenn alle Armen hier mal so behandelt werden, dass sie auch langfristig überleben können.
Es hilft auch ganz sicher nicht, Vermietern auch noch Prämien zu bezahlen, an neue Flüchtlinge zu vermieten, obwohl viele andere arme Deutsche oder frühere Flüchtlinge durch Mietkürzungen weniger als den Sozialhilfesatz kriegen. Das nämlich macht die Leute so wütend!
Und als erstes sollte man den Flüchtlingen eins beibringen .. sich hier durchzuschlagen, ihnen erklären, auf was für Probleme sie stoßen werden, wenn man sie nach ein paar Monaten alleine auf Hartz-IV-Deutschland los lässt, wo nicht wenige davon genauso hilflos untergehen werden wie die gebürtigen Deutschen hier auch.
Und jetzt kommst Du?
LG
Renate
PS: Solltest Du, Till Schweiger, oder andere Promis und wer sonst das hier finden, Kommis erlaubt .. ich schalte alle frei, egal was Ihr schreibt. Es interessiert mich nämlich, was andere Menschen darüber denken, was ich hier gerade erzählt habe. Ich bin nicht ausländerfeindlich, ich lebe nur in diesem Land und kenne die Probleme. Schau nach Griechenland .. es ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Reichen nicht bereit sind, was abzugeben, sondern Hilfe nur immer die Armen untereinander leisten müssen und so alle immer weniger haben.