Dienstag, 5. August 2014

Mein Außenseiter blieb mir treu

Eins meiner Kinder hat die Nerven, uns regelmäßig zu besuchen


Ich habe auch noch ein Kind, das ich nicht versuchen muss loszulassen.

Er war immer das schwierigste meiner Kinder, und zwar mit Abstand, und ganz sicher nicht das, dass zu mir immer besonders nett oder angepasst an meine Meinung und Lebensweise war.

Er ist oberkritisch, egal worum es geht, selten positiv von der Denkweise her, meckert gern und kritisiert fast alles, mich und Jürgen natürlich auch.


So war mein Jüngster eigentlich immer, und damit ganz anders als beispielsweise seine große Schwester Vanessa, die oberlieb und angepasst war und eigentlich nie was Böses zu mir gesagt hat, bis sie mir dann schrieb, sie würde mich nie mehr besuchen kommen, das hätte sie ihrem Mann versprochen und ich vom Glauben abfiel.

Marius hat es genossen, dass ich ihn brauchte, um in der Zeit, als er mir beibrachte, wie ein PC und das Internet funktioniert, mit dieser neuen Technik vertraut zu werden. Ich bin sicher, er fand es toll, mir da überlegen zu sein und das findet er auch noch heute, denn er ist mir dabei nach wie vor haushoch überlegen.

Er wusste genau, dass er der einzige Halt war, den ich überhaupt noch hatte, als alle seine Geschwister schon ausgezogen waren, meine Mutter komplett dement und mein Mann einfach nur untreu und eigentlich gar nicht mehr da. Und ich bin sicher, auch das hat er auf seine Art genossen. Aber da war er und hat verstanden, was ich durchgemacht habe, als einziger von allen, glaube ich.

Marius war auch das einzige meiner Kinder, das als er älter war, den Mut aufgebracht hat, auf seinen Vater loszugehen, als er mich wieder einmal schlug und der es geschafft hat, dass mich mein Mann danach nie wieder geschlagen hat, denn was Marius ihm dann nach diesem körperlichen Angriff an den Kopf warf, das hat bei meinem Mann gesessen. Dennoch hat er es toleriert, dass ich so dumm war, mich danach trotzdem wieder mit seinem Vater zu vertragen und noch einmal zu versuchen, diese Ehe zu retten. Und ich bin sicher, er fand das falsch.

Was gibt meinem Lütten die Nerven, so zu sein, wie er ist.

Marius kam körperbehindert auf die Welt. Schon als Baby musste ich ihn permanent mit irgendwelchen Übungen nerven, zu denen er keine Lust hatte, und zwar erbarmungslos, denn sonst wäre er gelähmt geblieben.

Während er als kleines Kind noch einige Freunde hatte, wurde es später auf der Realschule richtig schlimm. Marius wurde wegen seiner Behinderung erbarmungslos verarscht und sein Klassenlehrer hatte kein Verständnis dafür, wenn er sich dagegen wütend wehrte, er verstand es nicht, dass mein Kleiner gar keine Wahl hatte, als wütend gegenan zu gehen, um nicht komplett in dieser Klasse unterzugehen.

Es dauerte lange, bis er über sein Hobby Internet und Gothic die ersten Freunde fand. Da war er schon ein Teenager.

Er war zynisch und sarkastisch, das war Selbstschutz. Er war in-sich-gekehrt, was blieb ihm auch anderes übrig? Und er akzeptierte sich selbst und seine eigene Meinung, wen sonst? Er erlebte, dass es nur sehr wenige Menschen gab, die zu ihm gehalten und ihm geholfen haben, denn wer schwach ist, dem hilft man nicht, den grenzt man in unserer Gesellschaft lieber aus.

Er musste sich also selbst helfen und er musste lernen, sich trotzdem selbst gern zu haben.

Anpassen .. wozu? Es gab nichts zum Anpassen, das hätte ihm auch nicht geholfen, akzeptiert zu werden.

Heute bin ich in unserer Familie die, die schwach ist.

Ich habe Marius vorgelebt, dass ich mich selbst nie angepasst habe. Ich habe auch nicht zugelassen, dass jemand meiner Mutter was tut, auch mein Ex-Mann nicht, selbst wenn ich dann auch Schläge bezogen habe. Auch das habe ich Marius vorgelebt, obwohl meine Mutter oft alles andere als immer nett und freundlich war und im Gegenteil eine extrem schwierige Frau.

Aber vielleicht ist genau das der Grund, dass mein Lütter heute dasjenige meiner Kinder ist, das den Mut hat, sich zwar selten, aber regemäßig um seine Mama zu kümmern .. wir werden auch übernächste Woche meinen Geburtstag nachfeiern, da treffe ich ihn also wieder ... und das ohne deshalb nun mit seinen Geschwistern oder meinem Ex einen Bruch vollzogen zu haben. Die besucht er durchaus auch und trifft sie, wenn es dort was zum Feiern gibt.

Er ist durchaus so zu mir, dass er mir die Dinge, die er mir nicht erzählen darf, auch wirklich nicht erzählt, auch wenn ich sie gern wissen würde. Das sagt er mir dann auch knallhart ins Gesicht.

Ich gehe davon aus, dass dieses meiner Kinder zu mir hält, weil er von seiner Babyzeit an eine unglaubliche harte Schule hat durchlaufen müssen, gerade weil er spastisch gelähmt geboren worden ist. Er hat gelernt, auch ganz alleine seinen Weg zu gehen und sich nicht klein zu fühlen, nur weil gerade alle sagen, sie seien nicht auf seiner Seite.

Und so ist es ihm möglich, das auch in Bezug auf seine ja von der ganzen Familie ausgegrenzten Mama so zu machen. Er kann es ab, wenn alle anders denken. Er hat das ja sein Leben lang gelernt, einfach stur seinen eigenen Weg zu gehen.

Schön, dass er so ist.

Ich hätte nie gedacht, dass ich seine Körperbehinderung mal so betrachten würde, aber gerade dieses Handicap hat ihn gelehrt, Nerven wie Drahtseile zu bekommen.

Tja .. ich freu mich schon auf den Besuch von meinem Kleinen und hoffe wie immer, dass er mir dann doch auch was von den anderen erzählt, damit ich weiß wie es ihnen geht.

LG
Renate

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