Ein brisanter Text, den ich über Facebook von Katja Kipping bekommen habe.
Ich habe ja selbst schon zum Thema vor einigen Tagen gesagt, ich habe Angst vor einem 3. Weltkrieg. Ich scheine nicht die Einzige zu sein, die davor Angst hat.
Lest das bitte mal, und zwar ganz, denn hier wird einiges ein bisschen besser erklärt, als ich es Euch erklären kann.
Siehe unten.
LG Renate
Wir sind die Guten
Paul Schreyer
04.02.2014
Zur Debatte um die deutsche Verantwortung in der Welt
Der Gleichklang ist beeindruckend. Ob Bundespräsident, Verteidigungsministerin oder Außenminister - sie alle fordern zu Beginn des Jahres, beinahe unisono, eine aktivere Rolle Deutschlands. Es sei nicht genug, "Weltpolitik nur zu kommentieren" (Steinmeier), man solle sich "entschiedener und substanzieller einbringen" (Gauck) und die Menschen in den Krisenregionen nicht "im Stich lassen" (von der Leyen). Was steckt hinter dem auffällig einmütigen Vorpreschen in dieser kontroversen Frage?
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier auf der Sicherheitskonferenz: "Der Einsatz von Militär ist ein äußerstes Mittel. Bei seinem Einsatz bleibt Zurückhaltung geboten. Allerdings darf eine Kultur der Zurückhaltung für Deutschland nicht zu einer Kultur des Heraushaltens werden." Bild: Kleinschmidt / MSC/CC-BY-SA-3.0 |
Die 50. Münchner Sicherheitskonferenz
mit ihren illustren Gästen von Kissinger bis Klitschko bot den
passenden Rahmen für Prinzipielles und große Gesten. Der laut aktueller
Umfrage nach wie vor überaus beliebte Bundespräsident (77 Prozent Zustimmung) nutzte sie für eine außenpolitische Grundsatzrede. Gauck kam dabei schnell zum moralischen Kern der Sache:
Eines gleich vorweg: Dies ist ein gutes
Deutschland, das beste, das wir kennen. (…) Es ist eine stabile
Demokratie, frei und friedliebend, wohlhabend und offen. Es tritt ein
für Menschenrechte. Es ist ein verlässlicher Partner in Europa und der
Welt, gleich berechtigt und gleich verpflichtet. Das alles erfüllt mich
mit Dankbarkeit und Freude. (…) Deutschland tritt ein für einen
Sicherheitsbegriff, der wertebasiert ist und die Achtung der
Menschenrechte umfasst. Im außenpolitischen Vokabular der Republik reimt
sich Freihandel auf Frieden und Warenaustausch auf Wohlstand.
Alles bestens also. Wir sind die Guten. Man mag dem
Bundespräsidenten dies als ehrliche Überzeugung abnehmen. Auch die
ausgebildete Ärztin Ursula von der Leyen ist, abseits von politischen
Motiven, sicher ehrlich besorgt um das Wohlergehen von Menschen in
Krisenregionen. Ebenso mag der selten durch Kraftprotzerei oder gar
Aggressivität auffallende Steinmeier tatsächlich überzeugt sein von
seinen Worten, wenn er sagt, es werde "zu Recht von uns erwartet, dass wir uns einmischen".
Dennoch steckt gerade in dieser Formulierung Brisanz.
"Es wird erwartet" - von wem denn? Das deutsche Volk kann es kaum sein,
das hier fordert. Laut aktueller Umfrage von ARD Deutschlandtrend
lehnen 61 Prozent der Befragten weitere militärische Auslandseinsätze
ab, nur 30 Prozent sind dafür. Wer also "erwartet" hier etwas?
Neue Macht - altes Spiel
Die Suche führt schnell zu einem Strategiepapier, das,
wie sich zeigt, die eigentliche Blaupause sämtlicher der genannten
Redebeiträge ist. Bereits im Oktober vergangenen Jahres legte die
regierungsnahe Denkfabrik Stiftung Wissenschaft und Politik gemeinsam mit dem German Marshall Fund of the United States
eine Studie vor, in der sich viele der Formulierungen Gaucks,
Steinmeiers und von der Leyens beinahe wortwörtlich wiederfinden. Ihr
Titel: "Neue Macht - neue Verantwortung". In der Einleitung heißt es dort:
Dieses Papier ist das Ergebnis des Projekts
"Elemente einer außenpolitischen Strategie für Deutschland", einer
gemeinsamen Initiative des German Marshall Fund of the United States und
der Stiftung Wissenschaft und Politik, gefördert durch den Planungsstab
des Auswärtigen Amts. Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren außen- und
sicherheitspolitische Fachleute aus Bundestag, Bundesregierung,
Wissenschaft, Wirtschaft, Stiftungen, Denkfabriken, Medien und
Nichtregierungsorganisationen. Das Papier spiegelt den Konsens, aber
auch den Dissens ihrer Diskussionen wider, die zwischen November 2012
und September 2013 in vier Arbeitsgruppen stattfanden.
Ein gezielt platzierter Debattenbeitrag also, lange
geplant und veröffentlicht präzise zum Beginn der
Koalitionsverhandlungen der neugewählten Regierung, wo er ganz offenbar
Eingang finden sollte - und auch fand. Das Forum der Münchner
Sicherheitskonferenz bot nun nach Regierungsbildung wohl die passende
Gelegenheit, mit der neuen Strategie an die Öffentlichkeit zu gehen.
Gauck und Co. erscheinen mehr als "Vorleser". In der Studie heißt es:
Deutschland profitiert wie kaum ein anderes Land von der
Globalisierung und der friedlichen, offenen und freien Weltordnung, die
sie möglich macht. Gleichzeitig ist Deutschland aber auch besonders
abhängig vom Funktionieren dieser Ordnung. Es ist damit auf besondere
Weise verwundbar und anfällig für die Folgen von Störungen im System.
Das überragende strategische Ziel Deutschlands ist der Erhalt und die
Fortentwicklung dieser freien, friedlichen und offenen Ordnung. (…)
Gefragt sind mehr Gestaltungswillen, Ideen und Initiativen. Deutschland
wird künftig öfter und entschiedener führen müssen. (…)
Frank-Walter Steinmeier auf der Sicherheitskonferenz. Bild: Kuhlmann/MSC//CC-BY-SA-3.0 |
Dem Westen und seiner auf Menschenrechten,
Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Demokratie beruhenden
Legitimität ist kein Gegenpol mit ähnlich universaler Strahlkraft
erwachsen. Und der jahrzehntelange Garant dieser Ordnung, die
Vereinigten Staaten, bleibt zumindest auf absehbare Zeit die einzige
Supermacht mit globalem Ordnungswillen und Reichweite. Doch die USA
signalisieren - im Bewusstsein geschrumpfter materieller Ressourcen -
deutlich, dass Amerikas Engagement in der Welt künftig selektiver und
sein Anspruch an Partner entsprechend höher sein wird. Vor allem für
Europa und Deutschland bedeutet dies einen großen Zuwachs an Aufgaben
und Verantwortung.
Ein direkter Vergleich mit der aktuellen Rede des Bundespräsidenten ist eindeutig. Gauck:
Deutschland ist überdurchschnittlich
globalisiert und profitiert deshalb überdurchschnittlich von einer
offenen Weltordnung - einer Weltordnung, die Deutschland erlaubt,
Interessen mit grundlegenden Werten zu verbinden. Aus all dem leitet
sich Deutschlands wichtigstes außenpolitisches Interesse im 21.
Jahrhundert ab: dieses Ordnungsgefüge, dieses System zu erhalten und
zukunftsfähig zu machen. (…) Wir brauchen das Nato-Bündnis. Und gerade
wenn die Vereinigten Staaten nicht ständig mehr leisten können, müssen
Deutschland und seine europäischen Partner für ihre Sicherheit zunehmend
selbst verantwortlich sein.
Frei übersetzt: Die USA wollen und können sich
kostspielige Auslandseinsätze zur Sicherung der "guten Ordnung" in der
Welt immer weniger leisten und suchen einen potenten Austauschspieler.
Deutschland bedankt sich für das Vertrauen und kommt freudig und auch
ein bisschen stolz der Aufforderung nach. Wenn da bloß nicht dieses
ständige Misstrauen im Volk wäre … Dazu Gauck:
Ganz zum Schluss aber möchte ich eine Bitte
an uns Deutsche richten: dass auch wir diesem grundlegend gebesserten
Land zuallererst in der Grundhaltung des Vertrauens begegnen. Es gab für
die Nachkriegsgenerationen Gründe, misstrauisch zu sein - gegenüber der
deutschen Staatlichkeit wie gegenüber der Gesellschaft. Aber die Zeit
eines ganz grundsätzlichen Misstrauens ist vorüber. (…) Denn wir wissen
doch: Wer sich selbst vertraut, gewinnt die Kraft, sich der Welt
zuzuwenden.
Wir sind die Guten
Es geht weiter auf Seite 2:
"Störer der internationalen Ordnung"
Die transatlantische Studiengruppe, die das Papier
erarbeitete, auf dem Gaucks Rede inhaltlich basiert, war mit etwa 50
Teilnehmern sehr breit aufgestellt. Die Autoren kommen, laut einem zur
Studie gehörenden Anhang, unter anderem vom Bundeskanzleramt, dem
Auswärtigen Amt, dem Verteidigungsministerium, dem
Wirtschaftsministerium, der Daimler AG, der Bertelsmann Stiftung, der
Konrad-Adenauer-Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung, sowie dem
Bundesverband der Deutschen Industrie.
Auch Politiker des "linken" Parteienspektrums, wie Niels
Annen, Omid Nouripour und Stefan Liebich waren beteiligt. Zwei
ausgewählte Pressevertreter rundeten das Teilnehmerfeld ab: Jochen
Bittner von der ZEIT und Nikolas Busse von der FAZ. "Embedded
journalism" at its best.
Die so entstandene Studie gibt Einblick in ein komplexes
und dann doch wieder verblüffend simplifizierendes Weltbild. Neben
Klartext ("Deutschland braucht die Nachfrage aus anderen Märkten sowie
den Zugang zu internationalen Handelswegen und Rohstoffen") findet sich
darin auch eine ernstgemeinte Einteilung von Staaten in ein Raster aus
"Mitstreitern", "Herausforderern" und - man liest richtig - "Störern".
Wir erfahren, dass die USA, die EU, Japan, Kanada,
Israel, die Türkei und Südkorea (in dieser Reihenfolge) "prioritäre
Mitstreiter" sind, Mexiko und Australien hingegen nur "sekundäre
Mitstreiter". China, Russland, Indien und Brasilien sind - wenig
überraschend - "prioritäre Herausforderer", wie übrigens auch Pakistan.
Bei den "Störern" begegnet dem Leser George W. Bushs vertraute "Achse
des Bösen" aus Iran und Nordkorea wieder. Der Irak ist offenkundig
komplett aus dem Raster gefallen, ein Land, das sich wohl nicht mehr
zuordnen lässt - nun ersetzt durch Syrien bei den "prioritären Störern".
Was soll das Ganze? Die Studie klärt auf:
Sowohl starke und funktionsfähige als auch
fragile oder zerfallende Staaten können Störer der internationalen
Ordnung sein. Iran und Nordkorea (sowie, mit deutlich geringerer
Bedeutung, Venezuela oder Kuba) fallen in die erste Kategorie; zur
letzteren gehören Staaten wie Syrien, Somalia, Afghanistan oder Mali.
Ihr Störpotenzial kann sich aus dem Besitz oder der Weitergabe von
Massenvernichtungswaffen ergeben; aus der Förderung oder Beherbergung
von Terroristen; aus ihrer Lage (etwa an einer strategischen
Transportroute oder einer Meerenge); oder auch aus inneren Konflikten,
die in ihre Nachbarschaft hineinwirken - und nicht selten darüber
hinaus. In der globalisierten Welt von heute kann so aus einem lokalen
Problem schnell ein regionales oder internationales werden. Die
Interessen (und die Werte) eines weltweit vernetzten Landes wie
Deutschland können daher selbst durch einen kleinen oder weit entfernten
Störer empfindlich beeinträchtigt werden.
Es leuchtet ein: Wer nicht mitspielt und trotzdem
Einfluss hat, der stört. Der angenommene kausale Zusammenhang zwischen
störungsfreier Welt-Freihandels-Ordnung und lebendiger Demokratie bleibt
dennoch nebulös. Und so räumt auch die Studie ein:
Gleichzeitig unterhält Deutschland allerdings
auch strategisch wichtige Beziehungen zu Staaten, die zwar hohe
Wachstumsraten und Renditen versprechen, aber bisher wenig Neigung
zeigen, sich das westliche Staats- und Gesellschaftsmodell zum Vorbild
zu nehmen. (…) Richtig ist, dass Zielkonflikte zwischen deutschen Werten
und Interessen, gerade im Verkehr mit autoritären Staaten, kurzfristig
oft unvermeidbar sind und im konkreten Einzelfall ausbalanciert werden
müssen. In der langfristigen Perspektive aber ist Werteorientierung für
eine westliche Demokratie ein existenzielles Interesse.
Business as usual also, Demokratie aber auf jeden Fall
auch - langfristig … Die reale Welt ist grau, voller hässlicher
Kompromisse, Deals mit Schurken, Panzer an Saudi-Arabien etc. Nur, wie
passt diese Realität zur seltsamen Anmaßung, man vertrete das "gute
System"?
Der Zirkelschluss des Bundespräsidenten jedenfalls, dies
sei "ein gutes Deutschland", da per se demokratisch, überzeugt
allenfalls Fans oder Gläubige. Zumal in den wirklich entscheidenden
Fragen in letzter Zeit (Milliarden an den ESM, Europäischer
Verfassungsvertrag, Bankenrettung) von echter Demokratie hierzulande
eher wenig zu sehen war. Woher also der Hochmut?
Die in der Studie präsentierte Weltanschauung, die nun
von Gauck, Steinmeier, von der Leyen und anderen zur offiziellen
deutschen Politik erklärt wird, hat zudem etwas gespenstisch
Hermetisches, fast schon sektenhaft Totalitäres. Allein die Beschreibung
des gegenwärtig dominierenden Weltsystems, das de facto sich stetig
verschärfende Krisen, Kriege und soziale Konflikte erzeugt, als einer
"freien, friedlichen und offenen Ordnung" ist ein Realitätsverlust
erster Güte.
Afghanistan, der Irak und Libyen sind durch Krieg
zerstörte Staaten, die dieser "Ordnung", aus welchen Gründen auch immer,
als "Störer" galten. Wer stört, wird zerstört?
"Hoffnung auf bessere Ordnungen"
Ein anderer Bundespräsident fand vor langer Zeit ganz
andere, bescheidene und vielleicht umso treffendere Worte. Zu seinem
Amtsantritt am 1. Juli 1969 sprach Gustav Heinemann auch über nationale
Verantwortung. Seine Rede hat dabei an Aktualität wenig verloren:
Meine Damen und Herren, ich trete das Amt in einer Zeit
an, in der die Welt in höchsten Widersprüchlichkeiten lebt. Der Mensch
ist im Begriff, den Mond zu betreten, und hat doch immer noch diese Erde
aus Krieg und Hunger und Unrecht nicht herausgeführt. Der Mensch will
mündiger sein als je zuvor und weiß doch auf eine Fülle von Fragen keine
Antwort. Unsicherheit und Resignation mischen sich mit der Hoffnung auf
bessere Ordnungen. Wird solche Hoffnung endlich erfüllt werden? Das ist
eine Frage an uns alle, zumal an uns hier, die wir kraft der uns
erteilten Mandate Verantwortung für unsere Mitbürger tragen.
Ich sehe als erstes die Verpflichtung, dem Frieden zu
dienen. Nicht der Krieg ist der Ernstfall, in dem der Mann sich zu
bewähren habe, wie meine Generation in der kaiserlichen Zeit auf den
Schulbänken lernte, sondern der Frieden ist der Ernstfall, in dem wir
alle uns zu bewähren haben. Hinter dem Frieden gibt es keine Existenz
mehr. (…) Ich appelliere an die Verantwortung in den Blöcken und an die
Mächte, ihre Zuversicht auf Sicherheit nicht im Wettlauf der Rüstungen,
sondern in der Begegnung zu gemeinsamer Abrüstung und Rüstungsbegrenzung
zu suchen. [Beifall] Abrüstung erfordert Vertrauen. Vertrauen kann
nicht befohlen werden; und doch ist auch richtig, daß Vertrauen nur der
erwirbt, der Vertrauen zu schenken bereit ist. Es gehört zu den
vornehmsten Aufgaben unserer Politik, Vertrauen aufzuschließen. Dieser
Aufgabe sind alle Machtmittel unterzuordnen - die zivilen und die
militärischen. (…)
Wir werden erkennen müssen, daß die Freiheit des
einzelnen nicht nur vor der Gewalt des Staates, sondern ebensosehr vor
ökonomischer und gesellschaftlicher Macht geschützt werden muß. Der
Einfluß der Verbände und ihrer Lobbyisten steht oft genug im Gegensatz
zu unserer Ordnung, in der Privilegien von Rechts wegen abgeschafft
sind, aber in der sozialen Wirklichkeit noch weiter bestehen. (…)
Es gibt schwierige Vaterländer. Eines davon
ist Deutschland. Aber es ist unser Vaterland. Hier leben und arbeiten
wir. Darum wollen wir unseren Beitrag für die eine Menschheit mit diesem
und durch dieses unser Land leisten. In solchem Sinne grüße ich auch
von dieser Stelle alle deutschen Bürger." [Lebhafter Beifall]
Man stelle sich vor, ein amtierender Bundespräsident
hätte diese Rede 2014 auf der Münchner Sicherheitskonferenz gehalten.
Wahrscheinlich wäre er gar nicht erst eingeladen worden.
"Störer der internationalen Ordnung"
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