Samstag, 27. September 2014

Bilanz - mein Leben in einem kapitalistischen Land - Teil 8

Drei halbwegs glückliche Jahre mit relativ kleinen Problemen


Als wir im Oktober 2000 in Boksee einzogen, war unser Enkel Raphael schon einige Tage alt und trotz einiger Probleme, die gut zu der Hauptüberschrift dieser Biografie passen, dass ich die Auswüchse des Kapitalismus von meiner Jugend an bis heute gut kennengelernt habe, steckten wir die aufgrund des doch in dieser Zeit recht harmonischen Familienlebens recht gut weg.

In der Zeit von Oktober 2000 bis Mai 2003 hatten wir einen sehr guten Kontakt zu unserer Tochter Esther und so viel Freude an unserem Enkel Raphael, der täglich bei uns war, dass ich über 20 kg an Gewicht verlor. Eine Weile hatte ich sogar vor, mit Vanessa und Esther gemeinsam auf Chiwa so leicht wie ich nun geworden war, den Staffelritt in Nehmten mitzureiten, aber das sollte nicht sein, was ich gleich in den Erzählungen über die Pferde berichten werde. Vanessa kam uns zwar ohne ihren Mann besuchen, aber sie kam und wir lernten auch noch unseren Enkel Marc von ihr kennen, der am 17.4.2002 auf die Welt kam. Auch Manuel tauchte plötzlich wieder auf und suchte Halt, denn seine Beziehung zu Sonja war nach 8 Jahren in die Brüche gegangen. Seine neue Freundin Anni war zwar etwas verhalten, aber anfänglich meistens nett und nicht gerade feindselig, was sich erst viele Jahre später ändern sollte und den Grund dafür kenne ich bis heute nicht.

Marius entwickelte sich in Boksee und auch später nach unserem Umzug nach Nettelsee ebenfalls sehr gut. Weil er in meinen Augen immer etwas zu kurz gekommen war, schenkte ich ihm den ersten PC und damit begann er, mit Freunden Netzwerk zu spielen, gründete sein erstes Forum über Gothic und fand recht viele recht gute Freunde. Endlich gehörte auch mein Kleiner zu einer Gruppe dazu, der als Kind aufgrund seiner Körperbehinderung ja oft gehänselt worden war. Das freute mich sehr und sein Selbstbewusstsein wuchs.

So in ein harmonisches Familienleben eingebettet ließen sich die normalen Alltagsprobleme für uns gut lösen. Auch mein Ex-Mann war in dieser Zeit vernünftig. Ich habe nicht bemerkt, dass er mich betrogen hätte oder finanziell egoistisch gewesen wäre. Er verhielt sich wirklich verantwortungsbewusst und war damals auch lange nicht mehr gewalttätig gegenüber mir oder meiner Mutter.

Mit einem Gefühl hatte ich mich allerdings nicht getäuscht. Der Bauer, von dem wir alles gemietet hatten, war wirklich ein Ekel vor dem Herrn. Schon einige Tage, nachdem wir umgezogen waren, sprachen uns die ersten Nachbarn auf der Straße an und berichteten uns, was dieses Ehepaar mit diversen Vormietern von uns veranstaltet hätte. Das galt für Mieter von Wohnungen auf dem Hof genauso wie für Einsteller von Pferden oder Mieter von Lagerraum in den diversen Schuppen dieses Hofes. Das Dach war undicht und auf dem Boden nasses Kaff. Ständig waren unsere Fenster beschlagen und die Wohnung feucht, aber man gab uns die Schuld, wir würden die Wäsche nicht richtig trocknen. Der uns versprochene Garten wurde nie freigeräumt, sondern für Baumaterial als Lagerfläche genutzt, das dem Hausbau des Sohnes diente, der auf dem Nachbargrundstück ein Haus baute. Die Abmachungen wegen der Pferde klappten ebenfalls nicht und selbst mein Ex hatte keine Freude daran, in seinem gemieteten Bastelraum zu schrauben, weil ständig dieser Bauer auftauchte und ihn grundlos angriff. Der Mann kam sogar ohne anzuklopfen zu Weihnachten in eine Feier gestoben oder stand morgens genauso ohne zu klopfen mitten in unserem Schlafzimmer und dergleichen.

Unsere Pferde brachten wir deshalb schon recht bald zu einem anderen Bauern, wo wir zunächst eine Sommerweide pachten konnten, aber da bekam Chiwa das erste Mal Hufrehe, weil es eine Feuchtweide mit Sumpfschachtelhalmanteilen war, wovon ich damals überhaupt keine Ahnung hatte. Im Winter gingen wir dann mit den Pferden dort weg nach Klein-Barkau und dort hatte sie nach der überstandenen Hufrehe dann einen fast tödlichen Unfall an einem Maschendraht, riss sich eine Schlagader in der Fesselbeuge und das Bein bis auf den blanken Knochen auf und überlebte nur knapp. Mein schöner Traum, gemeinsam mit meinen Töchtern nun richtig schlank geworden den Staffelritt in Nehmten reiten zu können, zerplatzte durch diesen Unfall wie eine Seifenblase. Für mich war das ein sehr schöner Traum, fast so schön wie der, den ich später hatte, einmal im Leben gemeinsam mit meinen Kindern eine Musikshow reiten zu können. Ich werde das sicherlich nicht mehr erleben, denn inzwischen bin ich für solche Träume zu alt geworden.

Als Raphael ein Jahr alt war, begann meine Tochter Esther, sich ein wenig Geld als Kellnerin in einer Kieler Szene-Kneipe zu verdienen, in der auch Raphaels Papa Robert einen Job als Koch fand. Meine Arbeitszeit im Call-Center überschnitt sich mit ihren Arbeitszeiten. Deshalb gab ich meinen Nebenjob auf und kümmerte mich verstärkt um meinen Enkel. Heute wird mir von meinen eigenen Kindern oft vorgeworfen, ich wäre zu faul zum Arbeiten gewesen. So ein Unsinn. Ich habe in dem Call-Center so wenig verdient, dass ich den Lohn für einen Einsatz fast komplett für das Benzin ausgab, um hin und zurück zu fahren. Meine Tochter hatte mehr davon, als Kellnerin zu jobben und sie brauchte das Geld auch dringender als ich.

Mein Ex-Mann bekam im Alter eine neue Chance. Er konnte zunächst in Lütjenburg ein Jahr als Anleiter für arbeitslose Jugendliche arbeiten, später in Kiel für die DAA und noch eine Weile später sogar eine Werkstatt einrichten, wo er mit den jungen Arbeitslosen Oldtimer restaurieren konnte. Er war sehr stolz darauf, was er tat, denn er wurde genauso gut oder schlecht bezahlt wie die ausgebildeten Sozialpädagogen und Psychologen dort. Darüber werde ich später aber noch mehr berichten.

Einen kleinen Haken allerdings gab es bei diesen Jobs. Diese Einsätze waren immer zeitlich befristet, denn unbefristete Jobs bedeuten Kündigungsschutz und den bekommt man heute doch kaum noch. Und in einer der Phasen, wo mein Ex nur vorübergehend arbeitslos war, habe ich dann nichtsahnend Wohngeld beantragt und angegeben, dass der kleine Raphael ja meistens bei uns war. Meine Tochter hatte inzwischen einen neuen Partner, denn ihre Beziehung zu Robert hatte nicht gehalten. Es war anfänglich eine seltsame Liebschaft, denn ihr heutiger Ehemann wollte zuerst keine feste Beziehung. In meinen Augen nutzte er sie einfach aus. Das sagte ich ihm auch ins Gesicht, als meine Tochter einen schlimmen Reitunfall hatte und wir beide stundenlang darauf warteten, dass sie wieder zu sich kam. Ich hatte ihren komischen anonymen Freund angerufen, dessen Telefonnummer an ihrem Kühlschrank klebte beziehungsweise hatte ich vermutet, dass es seine Nummer sei und hatte damit recht. So kam er in die Klinik und wir beide ins Gespräch.

Eine Frau müsse autark sein, er hätte nicht vor, Kinder zu ernähren und derlei Dinge erzählte er mir, alles Dinge, die mir absolut nicht gefielen. Ich äußerte, ich sei nicht autark, aber autonom und was der Unterschied sei, das würde ich ihm schon beibringen, wenn er mein Kind nicht anständig behandeln würde. Heute ist sie seine Ehefrau und damals zog sie kurz nach diesem Gespräch wirklich bei ihm ein und er stellte meinen Enkel seiner Mutter und seiner Oma vor, die einen Bauernhof in Schwentinental hatten. Er hat weder sie noch meinen Enkel anständig behandelt. Seine Oma wollte gern meine Rolle übernehmen und nun selbst auf Raphael aufpassen, wenn meine Tochter arbeitete, ihre Ausbildung zur Erzieherin und Western-C-Trainerin machte und oft noch ausging und wirklich wenig Zeit für den Kleinen hatte. Das fand ich falsch, denn die Hauptbezugsperson für Raphael war definitiv ich und dann erst meine Tochter, die auch mit dem Wechsel zu dieser Oma ihres neuen Partners nicht mehr Zeit für ihren Sohn haben würde und könnte, denn sie steckte mitten in diversen Prüfungen. Man sollte einem Kind, das fast 3 Jahre alt ist, nicht in diesem Alter mit voller Absicht die Bezugsperson entziehen, nur weil eine alte Frau so gern noch einmal eine Aufgabe am Ende ihres Lebens hätte. Das war sehr egoistisch und in keiner Weise an das Kind gedacht.

Es würde zu weit führen, die genauen Umstände zu erläutern. Es gab noch einen Besuch von einem Freund meines heutigen Schwiegersohnes in meinem Stall unter dem Vorwand, ein Quarter Horse bei uns unterstellen zu wollen. Später hieß es, ich hätte unter anderem bei diesem Gespräch gesagt, meine Tochter sei früher auf den Strich gegangen. So ein Unsinn. Sie hat so etwas nie getan und ich habe so etwas auch nie gesagt und auch ganz sicher nicht angedeutet. Ich vermute, dieser Mann wurde mir geschickt, um meine Tochter auf mich raufzuhetzen, damit sie ihren Sohn zu Jans Oma bringen und Nixe in deren Stall stellen sollte.

Plötzlich im Mai 2003 war Nixe nicht mehr auf ihrer Weide in Wellsee. Wir hatten inzwischen die Wohnung in Boksee gegen eine in Nettelsee getauscht und den Stall in Klein-Barkau, wo Chiwa den schlimmen Unfall hatte und noch viele andere Missstände waren, gegen eine Pachtweide mit Offenstall in Kiel-Wellsee getauscht, wo sich Nixe, Reno und Chiwa sehr wohl fühlten und wir uns mit den Verpächtern auch sehr gut verstanden und viele schöne Sommerparties gefeiert haben. Meine Familie war immer noch eine Familie gewesen, aber von Stund an war sie es nicht mehr.

Es gab etwas, dass Esthers heutiger Ehemann von mir wusste, und das war die Äußerung des Arztes, der meine Tochter Vanessa behandelt hatte, als sie noch mit Marc hochschwanger schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Sie sagt bis heute, sie sei die Treppe runter gefallen. Der Arzt, der sie behandelte, nahm mich aber zur Seite und fragte mich, ob ich auch denken würde, dass sie von ihrem Ehemann geschlagen und dabei möglicherweise die Treppe runter gestoßen worden sein könnte. Er hätte ihr bereits eine Psychologin geschickt, aber sie würde dabei bleiben, nur gefallen zu sein und so sei es nicht möglich, meinen Schwiegersohn wegen schwerer Körperverletzung seitens der Ärzte anzuzeigen.

Tja, so wie Vanessa damals aussah, habe ich das auch für möglich gehalten und mache das auch heute noch, zumal ich das unbeherrschte Wesen meines Schwiegersohns ja gut kenne. Und mit so etwas lief mein heute zweiter Schwiegersohn dann zum anderen und erzählte ihm das, so dass der auch erfuhr, wie oft meine Tochter heimlich ihre Familie besuchen kam.

Diese Aktion bewirkte, dass mein Schwiegersohn Timo Vanessa das Versprechen abnahm, nie mehr Kontakt zur eigenen Mutter zu haben. Sie hält sich daran, bis heute. Esther kam zurück, Vanessa nie mehr und meine Ehe, die in der Zeit von 2000 bis zu diesem Ereignis tatsächlich besser war als jemals zuvor, hat das natürlich nicht ausgehalten.

Meine Mutter auch nicht. Ihr brach aus heiterem Himmel kurz danach die Wirbelsäule und sie starb mir im Sommer 2003 fast. Ich besprach mit ihrem Arzt dann, alle Medikamente abzusetzen und setzte auf reine Ernährungslehre und kriegte meine Mama wieder halbwegs zugange.

Ich habe auch dafür gesorgt, dass sie ab und zu Vanessa sehen konnte, die konsequent nie mehr zu uns nach Hause kam und meiner Mutter so das Gefühl vermittelte, weil sie bei mir lebte, nun ihre Lieblingsenkelin kaum noch sehen zu dürfen. Aber in ein Altersheim wollte meine Mutter auch nicht.

Tut ein Mensch mit Herz so etwas einem Familienmitglied an? Was man mir antat, davon will ich nicht reden, denn meine Mama tat mir leid und auch wenn es mir jedes Mal das Herz zerriss, nicht dabei sein zu können, habe ich diverse Treffen zwischen Mama und Vanessa arrangiert, die für mich alles andere als gut gewesen sind, weil die Kluft in unserer Familie mit jedem dieser herzlosen Aktionen größer und meine Ehe schlechter wurde.

Ich will mit dem Sommer 2003, als meine Mutter allmählich begann, von den tot gesagten wieder aufzustehen und meine Tochter Esther zum ersten Mal wieder mit Raphael im Spätsommer zu Besuch nach Nettelsee kam, dann im nächsten Teil weitermachen. Es war ein Anfang, der mich damals glücklich machte und dennoch der Anfang vom Ende dessen, was einmal meine Familie gewesen ist. Meine Mama bekam damals die erste Pflegestufe, die Pflegestufe 1. Gleichzeitig zog man uns einen Großteil dieses Geldes dafür wieder ab, dass sie hilflos ja nun laut Sozialamt nur ein Haushaltsmitglied sein konnte. Das nennt sich in Deutschland nämlich Sozialstaat. Ich bin nicht grundlos politisch aktiv und habe dieser Biografie nicht grundlos einen politisch gefärbten Titel gegeben, denn die Politik in diesem Land ist auch nicht schuldlos daran, dass so viele Familien zerbrechen, und zwar am Geldmangel, weil hierzulande jede Solidarität mit der Familie nach sich zieht, selbst auch ganz schnell zum Sozialfall zu werden und das will niemand und macht den Menschen nicht zu Unrecht angst. Warum, auch das werdet Ihr an meinem eigenen Schicksal noch sehr gut nachlesen können.

Der eigentliche Grund, mir Raphael wegzunehmen, war nämlich genau betrachtet ein finanzieller. Weil ich nichtsahnend Wohngeld beantragt hatte, wurde Esther, die bei ihrem Lebensgefährten als Mieterin lebte und nicht als seine Partnerin und ihr Mutter-Kind-Bafög als Mietanteil beisteuern musste, vom Bafög-Amt benachrichtigt, wo ihr Sohn seinen Hauptwohnsitz denn nun hätte. Für meinen heutigen Schwiegersohn war es damals finanziell besser, weil er das Geld brauchte, meinen Enkel zu seiner Oma zu bringen, die kein Wohngeld beantragt hatte, um anschließend zu behaupten, ich hätte ja gelogen. Muss man nur aus Geldmangel einem unschuldigen Kind sowas antun und ausnutzen, dass dessen Mutter einen abgöttisch liebt? Ist das Liebe, und zwar sowohl zu dieser Frau und erst recht zu deren Sohn? Ich bin weißgott auch schon in finanziellen Schwierigkeiten gewesen, aber so habe ich in meinem Leben noch nie gehandelt, nur um mehr Geld zu haben.

Hätte ich das geahnt, hätte ich auch kein Wohngeld beantragt, aber würde ein diesem Land mal ein Politiker befähigt sein zu denken, würden viele solcher Handlungen, die nur aus Geldnot entstehen, auch gar nicht erst passieren.

Das Bedingungslose Grundeinkommen würde nicht mehr kosten als die Sozialleistungen, die jetzt der Staat ausgibt und viele solcher Probleme würden sich in Nichts auflösen, denn es würde sich wieder lohnen, mit der Familie zusammenzuleben und zusammenzuhalten. Unser aktueller Hartz-IV-Staat allerdings trennt die Menschen durch die Bedarfsgemeinschaften und auch schon die Haushaltsgemeinschaften waren etwas Trennendes, die es früher bei der Sozialhilfe gab. Und das sind sie auch noch heute.

Also dann bis demnächst mit der Fortsetzung im Spätsommer 2003.

LG
Renate




Die anderen bereits veröffentlichen Teile von Bilanz findet Ihr am Ende der Seite "Über uns" vor den Geschichten aus Jürgens Leben... hier der Link dorthin:


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