Sonntag, 27. Juli 2014

Vom Loslassen - Teil 2

Träume, Orte und Lebensumstände

Nicht nur Menschen und Tiere müssen wir loslassen, weil sie gestorben sind, uns verlassen haben oder uns weg genommen worden sind, oft sind es auch Orte, an denen wir gelebt und gearbeitet haben oder zur Schule gegangen sind, der gesamte damit zusammenhängende Kreis von Nachbarn und Freunden oder aber Wünsche und Träume, die schon zum Greifen nah schienen und uns doch vom Leben nicht zu erleben gegönnt worden sind.

Das oben ist mein Haus, das zum Zeitpunkt dieses Fotos gerade fertig umgebaut worden war. Ich hatte den Garten neu gestaltet und plötzlich verlor mein Ex-Mann seinen Arbeitsplatz und es ergab sich so, dass wir in Richtung Hamburg zogen. Weg von meinem eigenen Haus, dem See, den ich so geliebt hatte, meinen vielen Freunden aus der Kindheit und Schulzeit, meinen Arbeitskollegen, mit denen ich mich gut verstanden hatte ... nie wieder war ich irgendwo so heimisch wie an dem Ort, wo ich geboren wurde und 30 Jahre gelebt habe.

Ich brauchte einige Jahre, bis ich wieder einen Ort fand, an dem ich mich heimisch fühlte, das war Depenau.

Davor machte ich das Abitur nach und hatte den Traum, mein Psychologie-Studium durchzuziehen und die Welt zu verändern. Ich musste diesen Traum meiner Familie zuliebe aufgeben.

Ich ersetzte diesen Traum durch den vom Leben auf diesem Resthof mit Pferden und im Kreise meiner ganzen Familie.



Die Männer hatten dort ihre Bastelhalle, mein Jüngster war noch klein und hatte seinen besten Freund dort, und wir Frauen hatten unsere drei Pferde .. ja und ich einfach den Traum, mit meinen Töchtern zu reiten und die Idee zu verwirklichen, mit den beiden Mädchen etwas aus unserem Hof zu machen .. und ich wollte einfach für die Pflege der Anlage und Pferde da sein.

Ich musste auch diesen Traum aufgeben, weil die Lebensumstände durch meine schlechte Ehe es nicht zuließen, dass er Wirklichkeit werden konnte.


Unser eigenes Pachtland in Wellsee gemeinsam mit meiner Tochter Esther und meinem kleinen Enkel Raphael von ihr, um den ich mich jahrelang gekümmert habe, als sie ihre Ausbildung beendete ... ich verlor dieses kleine Restglück von einem Tag auf den anderen .. es riss mir den Boden unter den Füßen weg, als plötzlich Esther, Raphael und auch unsere Stute Nixe nicht mehr da waren ... es gibt Momente, da möchte man am liebsten sterben .. und will es genau genommen dennoch nicht, sondern nur einen Traum zurück bekommen, der einem plötzlich genommen wurde.
Als ich so gut wie nichts mehr hatte, was mir Halt gab, zog das letzte meiner Kinder aus, um zu studieren .. verständlich, es war sein gutes Recht.

Marius war mein letzter Halt im Leben damals, aber ich konnte ihm das nicht zeigen, sondern musste ihn so gehen lassen, dass er es nicht bemerkte.

Die letzten Balken, an denen ich mich damals noch festhalten konnte, das letzte bisschen Liebe und Wärme zu Hause war nicht mehr da, als er ging. Von dann an lebte ich lange nur noch für einige Ideen, die ich zum Thema Hufrehe im Kopf hatte. Der Mensch braucht zum Leben ein Ziel, und ich war immer ein Mensch, der auch in noch so schwierigen Lebensumständen in der Lage war, sich ein Ziel zu suchen, und sei es noch so klein .. also wurde mein Ziel, mehr über Hufrehe zu erarbeiten und Pferden zu helfen, die daran erkrankten.

Als ich endlich die Kraft fand, meine Ehe zu beenden und meinen 2. Mann Jürgen kennenlernte, war meine Familie noch fast vollständig und nicht überwiegend feindseelig.

Gemeinsam mit Jürgen wieder zu reiten .. vielleicht im kommenden Jahr aktiv auf dem Pferd dabei zu sein, wenn meine Tochter ihren nächsten Showtag veranstalten würde .. vielleicht sogar doch noch zu erleben, dass auch Vanessas Familie wieder zu mir zurück finden könnte, das war ein großer Traum, den ich damals hatte.


Ich erlebte voller Stolz mit, wie meine Tochter diesen wundervollen Showtag gestaltete und wie alle unsere Pferde gemeinsam bei ihr auf dem Hof leben konnten.

Es waren einige Monate voller Hoffnung und Freude, dann war es vorbei.

Ich musste den Traum, im Alter noch einmal mit Jürgen auszureien, für immer begraben oder den mitzuerleben, wie alle unsere Pferde zusammen bei einer Show dabei sein würden.


Heute sind zwei unserer Pferde nicht mehr bei meiner Tochter und die anderen beiden bei mir ... Träume, was habe ich für Träume?

Ich weiß es nicht. Ich schreibe mein Leben auf und hoffe, dass es Menschen gibt, die später verstehen werden, wer ich war, was ich geliebt, gesucht, gefunden und wieder verloren, warum ich gelitten habe und das ich oft nicht als der Mensch verstanden worden bin, der ich eigentlich bin.

Orte - Lebensumstände - Träume - sie leben in mir weiter, ich habe sie teils losgelassen, teils aber auch im Gedächtnis konserviert und es ist mir ein inneres Bedürfnis, sie durch das Schreiben nicht so weit untergehen zu lassen, dass sich niemand mehr daran erinnern wird.

Solche Dinge kann man nicht wirklich loslassen .. man kann sich nur weiter treiben lassen im Strom des Lebens, der immer wieder neue Orte, Lebensumstände und Träume für uns bereit hält.

LG
Renate

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