Montag, 22. April 2013

Mamas letztes Lebensjahr

Teil 3 - sie hatte noch einen schönen Sommer 2011

Das Wetter meinte es gut mit Mama in ihrem letzten Sommer. Um viel mit ihr draußen zu sein, brauchten wir Wärme, denn sie konnte sich ja kaum noch bewegen, und Wärme hatten wir viel im Sommer 2011.
Wir haben 2011 aufgrund des schönen Sommers viel mit den Pferden in Boksee machen können und Mama dorthin fast immer mitnehmen können. Sie schaute dann zu oder wenn Jürgen ausgeritten ist, bin ich mit ihr mit dem Rollstuhl hinterher gefahren.
Meine Mutter wurde auch wieder klarer im Kopf. Die Sonne und die Eindrücke draußen taten ihr gut. In der Wohnung machten wir ohne die Krankengymnastin .. denn die Hausärztin war nur gut im Verschreiben von Pillen, die Gymnastik hat sie uns genau dann gestrichen, als Mama begann, ihre Beine benutzen zu können ... bessere Fortschritte als mit .. Mama lernte am Gehwagen mit Jürgens und meiner Hilfe unter Aufsicht wieder zu laufen, was sehr wichtig für ihren Kreislauf war.
Ich habe, egal wie weh es tat, auch so lange meine Mutter gelebt hat, nie aufgehört, häufiger einmal meine Kinder anzurufen und sie auch Mama mal an die Strippe zu geben, auch wenn meiner Mutter der rein telefonische Kontakt schwer fiel ... dazu war ihr Kopf einfach nicht mehr fit genug.
Was meine Mutter aber wieder lernte .. dazu muss ein Mensch vermutlich einfach öfter draußen unterwegs sein .. war die Haubentaucher im Postsee beim Fischen mit den Augen zu verfolgen, Vögel im Flug zu beobachten und im Auge behalten, wo sie hin flogen und so weiter. Das waren Riesenfortschritte, denn viele dieser Fähigkeiten waren ihr durch die monatelange Bettlägerigkeit einfach abhanden gekommen.
Zu Hause musste Mama natürlich oft im Bett liegen, einfach die Beine hoch lagern und ruhen und hatte dann immer Gesellschaft von unserer alten Katze Blanka.

Meine Mama liebte Blumen und wir haben uns in ihrem letzten Sommer noch viele davon auschauen können, wenn wir sie an den Gärten entlang gefahren haben.
Im Sommer machte Jürgen mit Chiwa einen Gruppenausritt von 4 Stunden mit und ich fuhr mit Mama mit dem Auto teils die Strecke ab, um Fotos zu machen und auch, als wir auf die Rückkehr der Gruppe warteten, weite Strecken durch Boksee. Das Wetter war herrlich.
Wir haben einfach versucht, Mama an unserem Leben so viel wie möglich teilhaben zu lassen. Ich weiß nicht, ob Jürgen und ich im Alter von jemand diese Möglichkeit erhalten werden. Es mag nicht viel sein, was wir für Mama tun konnten, aber wir beide wären froh, wenn wir mal alt sind, wenn es für uns jemand in der gleichen Art und Weise täte.
Dieses Foto von Boomer und mir hat z. B. Mama gemacht, die sogar noch fotografieren konnte, so kurz vor ihrem Tod.
Auch Mama hat herzlich gelacht, als Jürgen nach 4 Stunden auf dem ungesattelten Pferd zu Fuß ankam, weil er nicht mehr sitzen konnte.
Sehr oft sind wir nach diesem Gruppenausritt mit Jürgen durch Boksee gefahren, wenn er mit Chiwa unterwegs war und haben die zwei auch bei einem nächsten Gruppenritt unterwegs fotografiert.
Wenn Mama auf war, habe ich ihr meistens einen Pferdeschwanz gemacht. Ich muss immer an sie denken, wenn ich heute diese Haarbänder im Bad liegen sehe.
Hier versuchte Chiwa, den Jürgen auszutrixen, und meine Mama kam trotz ihrer eigentlich immer großen Eifersucht auf alle Männer in meinem Leben zunehmend zu der Erkenntnis, dass Jürgen zu mir passen würde. Als sie fühlte, dass sie wirklich gehen muss, hat sie mir gesagt, Jürgen würde auf mich aufpassen, denn er sei ein guter Mann, da wäre sie sicher. Ich denke, wenn sie den Ernst ihrer Lage nicht gespürt hätte, hätte sie das nicht so gesagt, einfach aufgrund ihrer immer vorhandenen Eifersucht auf jeden Menschen, der mir zu nahe kam, aber nun wollte sie, dass ich in Sicherheit bin und das von ihr zu hören, tat nicht nur mir gut, sondern dem Jürgen ebenso.
Blanka in Mamas Bett .. das Bett ist heute nicht mehr da, aber Blanka schläft noch immer auf Mamas Kissen und Bettdecke in Mamas Zimmer.
Mama hat auch noch miterlebt, dass wir geschafft haben, Chiwa ihren Sattelzwang abzugewöhnen und dass Jürgen sie mit Sattel reiten könnte.
Jan hatte ja wieder Krach geschlagen, als er mitbekommen hatte, dass wir mit Mama Esther besucht hatten .. aber Mama sah gemeinsam mit uns an diesem Tag hier auch noch einmal Nixe und Reno mit vielen anderen Pferden bei Esther in Schwentinental auf der Weide laufen. Als Jürgen und ich Nixe und Reno das letzte Mal gemeinsam sahen, war Mama bereits nicht mehr am Leben.
Nicht nur ich alleine, auch meine Mutter hätte sich gewünscht, dass unsere Familie wieder eine Familie geworden wäre und unsere Pferdeherde wieder eine einzige Herde. Das hat sie so oft gesagt und ich weiß, nicht nur mir zuliebe. Sie dachte das auch selbst.
Als Mama Geburtstag hatte und 91 Jahre alt wurde, kam uns überraschend Manuel besuchen, leider alleine ohne Jarvin, seinen kleinen Sohn, von dem er uns nur ein neues Foto mitbrachte.
Wir waren nur mit Socken mit ihr unterwegs am Postsee, weil es immer schwieriger wurde, ihr Schuhe anzuziehen, denn ihre Füße waren voll Wasser. Ich werde genauso wie meine Mutter sterben und ich vermute, schon bald, denn auch bei mir hat es angefangen, dass nicht nur die Beine, sondern auch meine Füße voll Wasser sind ... ein Zeichen dafür, dass auch meine Nieren und nicht nur das Herz nicht mehr richtig arbeiten. Tja ... ich habe schon als Kind gewusst, dass ich mal an Nierenversagen sterben werde und bei meiner Mutter miterlebt, was das vor ein Tod ist, denn sie ging diesen Weg vor mir.
Aber Manuel hat sie noch einmal gesehen, kurz bevor es zu Ende ging.
Manuel erzählte uns an dem Tag, dass er jetzt eine eigene Firma für Oldtimer-Restauration hätte, dass er nicht wollen würde, dass Anni arbeitet, sondern sich um Jarvin kümmern soll. An seinem Geburtstag würden sie in Dänemark sein, ein bisschen Urlaub machen. Wir dachten, es liefe alles gut bei Manuel. Deshalb rief ich Manuel an, um ihn um Geld zu bitten, als Mama ein paar Wochen später mit dem Tod rang, das kurz vor dem Ersten und ich hatte kein Geld mehr für die Praxisgebühr, Medikamente, die Zuzahlungen in der Apotheke, nichtmal mehr für literweise Mineralwasser und Toast, weil meine Mama begonnen hatte, sich unstillbar zu übergeben.
Ich war wütend, als Manuel mich am Telefon so barsch abwies und mir vorwarf, ich würde unsere Pferde ja mit Kiwis füttern und sei verschwenderisch. Später erzählte mir Marius, dass Manuel sich selbständig gemacht hat, weil er vorher lange arbeitslos war.
Natürlich stellt sich jeder Mensch so positiv wie möglich dar, aber ich denke, dieses Telefonat wäre anders verlaufen, wenn Manuel mir einfach wie auch Vanessa gesagt hätte, er sei einfach pleite und könnte mir nichts leihen. Niemand hätte das besser verstanden als ich. Ich bin auch selbständig und kämpfe ständig ums nackte Überleben.
Jarvin, Mamas jüngster Urenkel, mit seinen niedlichen ersten Zähnchen, mit denen er da in die Kamera gelacht hat. Mama hat sich so über dieses Foto und Manuels Besuch gefreut, sie konnte sich trotz ihrer Demenz noch tagelang daran erinnern und sprach immer wieder davon.

Ich werde jetzt aufhören. Über die letzten Wochen im Leben meiner Mutter berichte ich Euch im vierten und letzten Teil.

LG
Renate


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