... und meine Erinnerungen an einen Freund meiner Kinder
Ein besseres Foto von Philipp als dieses nur halbe hier ganz rechts im Bild, wo er gemeinsam mit meiner Großen Vanessa, meinem Großen Manuel und meinem Neffen Marco auf der Party meines Abi-Jahrgangs im Sommer 1991 noch dabei ist, habe ich leider im Moment nicht finden können.
Am Sonntag spielt Deutschland gegen Argentinien und vielleicht gewinnen wir ja wie damals 1990, als wir auch gewonnen haben. Philipp war ein begeisterter Fußballfan und natürlich haben wir alle gemeindam damals zugeschaut. Nach dem Sieg schleppte er meine ganze Familie mit auf den Marktplatz in Preetz, wo eine rauschende Spontanparty begonnen hatte. Die Leute tanzten auf der Straße und waren außer Rand und Band. Ich habe diese Stimmung noch sehr gut in Erinnerung.
Ich habe auch Philipp nie vergessen, der nun schon so lange tot ist, weil er sich nur wenige Monate nach seinem eigenen Abitur während seiner Zivildienstzeit das Leben nahm. Sein Grab ist nicht weit weg von dem meiner Mutter und Jürgen und ich waren schon oft dort, den jungen Mann besuchen, von dem ich denke, er hätte diese Handlung unbedingt noch einmal überdenken sollen, aber das hat er leider nicht getan.
Er hatte Liebeskummer, und es war ihm nicht möglich gewesen, seine Ex dazu zu bewegen, sich wieder mit ihm zu vertragen, aber ob das der einzige Grund für seinen Selbstmord war, das glaube ich nicht.
Philipp war ein guter Schüler, mehr als gut, viel besser als ich es war. Er ging mit einer glatten 1,0 durch das Abi des Fachgymnasiums Preetz. Sehr oft hat er damals mit meiner Tochter geübt, die nicht so gut in der Schule war und einen besonders guten NC für ihr Traumstudienfach Tiermedizin gebraucht hätte.
Da ich auch zu den Besten meines eigenen Jahrgangs gehörte, weiß ich genau, was man dann von vielen Lehrern zu hören bekommt. "Du kannst die Welt verändern! Du hast das Zeug dazu!" Ich weiß das von mir, ich weiß das von anderen Cracks meines Jahrgangs, denen man das auch gesagt hat und ich weiß, dass man dann mit einem unglaublichen Ego von der Schule abgeht und sich vornimmt, wirklich die Welt zu verbessern.
Jedenfalls dann, wenn man die Mentalität dazu hat, und diese Mentalität hatte auch Philipp, dem es nicht genügt hätte, wie sein kleiner Bruder in Paris Modedesign zu studieren, um später die Firmen seines Vaters zu übernehmen.
Es wäre ihm nicht spektakulär genug gewesen, als Designer einfach nur genug zu verdienen und mit einer Familie ein sorgenfreies Leben zu führen.
Wo die Probleme in seiner Beziehung lagen, ich habe keine Ahnung. Einige Wochen vor seinen Freitod besuchte ihn Vanessa, um ihn zu einer Silvesterparty bei uns auf dem Dorf einzuladen. Er erzählte ihr, dass die Zustände bei der Lebenshilfe, wo er Zivildienst machte, grauenvoll wären und er keine Ahnung hatte, wie er den Menschen dort helfen könnte, nicht so ein elendes Leben führen zu müssen. Er war verzweifelt, dass er bereits dort keine Möglichkeit hatte, etwas am System unseres Staates zu verändern, das für Behinderte nun einmal sehr wenig tut und dafür sorgt, dass sie in solchen Einrichtungen ein mehr als elendes Leben führen müssen. Dass das so ist, weiß ich von Marius, der später auch Zivildienst in einer Behinderteneinrichtung gemacht hat und wo ich das sehr gut mitbekommen habe oder von Manuel, der vor meinem Kleinen Zivildienst in einem Altenheim machte und auch nichts hat tun können, um den alten Menschen wirklich zu helfen.
Philipp kam nicht mehr zu unserer Silvesterparty, er hat sich einfach Anfang Januar umgebracht. Sein kleiner Bruder hat es geahnt, aber auch nicht verhindern können.
Als er starb, lebten wir bereits in Depenau, dem Ort, wo ich nach meinem eigenen ersten nicht wirklich ernst gemeinten Suiziderlebnis (nein bei mir war das nur ein lauter Hilfeschrei nach Solidarität innerhalb meiner Familie, die ich gegenüber meinem Mann von den Kindern dringend gebraucht hätte, nicht der Wunsch, wirklich zu sterben) begonnen hatte, als Gärtnerin zu arbeiten und das Geld zum Kauf unserer ersten Pferde, für den Stallbau und vieles mehr, was auch den nicht reitenden Mitgliedern meiner Familie Freude machte, zu verdienen.
Als Deutschland dieses spektakuläre Fußballspiel gegen Argentinien gewann, lebten wir noch in Preetz und waren unmittelbare Nachbarn von Philipps Familie, die nur schräg gegenüber wohnte.
Wenn sie morgen spielen, wird mich das an Philipp erinnern und falls sie gewinnen sollten, erst recht. Vielleicht werde ich weinen.
Ich hatte diesen Jungen so gern und wer weiß, hätte er durchgehalten, vielleicht hätte er ja doch eine Kleinigkeit dazu beitragen können, diese schreckliche Welt, in der wir leben, doch zu verbessern.
Ich gehe allerdings davon aus, dass ihm diese Kleinigkeit nicht genügt hätte. Seine Ansprüche waren einfach höher, zu hoch für ein Leben in diesem Land, das vielen Menschen morgen ein wenig Stolz zurück geben wird, wenn unsere Jungs spielen .. für eine kleine Weile, die sie davon ablenkt, wo sie zu Hause sind, nämlich in Deutschland, auf das man nicht stolz sein kann. Nicht jetzt, nicht heute und nicht so, wie es regiert wird.
Etwas zu Lesen über das damalige Endspiel findet Ihr unten.
LG Renate
...eine bewegende Geschichte mit Philipp..
AntwortenLöschenich war damals gerade 17 und verfolgte 1990 das Spiel der deutschen Nationalelf gegen Argentinien am Autoradio. Wir fuhren von München nach Augsburg. Nach dem das Finale gewonnen wurde gab es deutschlandweit Autokorsos und Hupkonzerte. Ich erinnere mich gerne an diesen Tag http://wp.me/p4OuKv-G
Dann bist Du ungefähr so alt wie Philipp, wenn er heute noch leben würde. Als er starb, war er 20, das Spiel damals war ja einige Jahre vorher.
AntwortenLöschenEnde Mai 2014 bin ich 41 geworden... die Zeit rennt...
AntwortenLöschen41 ist meine älteste Tochter jetzt auch, die zusammen mit Philipp in einer Klasse war ... ich bin vor ein paar Tagen 61 geworden und kann mich immer noch gut daran erinnern, wie meine Kinder kleine Babys waren oder meine älteste Enkelin, die nun auch schon wieder ein großer Teenager ist .. umso älter Du wirst, umso mehr wirst Du lernen, jeden Tag zu genießen, selbst die immer irgendwann schönen Stunden an fiesen Tagen ... manche meiner alten Freunde aus Teenager-Tagen leben heute nicht mehr, obwohl die nicht Selbstmord begangen haben, sondern an fiesen Krankheiten bereits gestorben sind .. die Zeit rennt wirklich und wir sollten sie genießen.
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