Montag, 14. September 2015

Die Flucht nach Westdeutschland 1945

So wurde mir das von Mama, Oma, Opa und anderen Verwandten erzählt

Mein Opa, meine Mama, meine Oma und ich in Schellhorn, wo meine Familie zusammen mit vielen anderen Flüchtlingsfamilien aus den Ostregionen Deutschlands ein neues zu Hause fanden.

Ich selbst bin in Schellhorn nach der Flucht geboren worden, als das Schlimmste dieser Zeit schon vorbei war.

Ich bin aber in einer Ecke aufgewachsen, wo Menschen aus Pommern, Ostpreußen, Mecklenburg, Brandenburg, Berlin oder Schlesien nach dem Krieg als Hilfe einen besonders günstigen Kredit zum Bau eines kleinen Halbhauses bekommen haben, die auch viel von der Flucht 1945 erzählt haben, die für die Menschen, die es sehr weit hatten wie die Ostpreußen noch viel schlimmer gewesen ist als es meine Leute erlebt haben, die damals nicht mehr in Pommern lebten, sondern aus beruflichen Gründen meines Opas, der als Melkermeister von Pommern nach Mecklenburg gewechselt hatte, nur von Mecklenburg aus die Flucht in den Westen ergriffen.

Opa war in der Landwirtschaft tätig und nicht an der Front. Nur Mamas Bruder Emil fiel mit 19 an der russischen Front in Leningrad durch einen Kopfschuss und war damals bereits tot.

Meine Familie hatte als Hilfen zu Hause die Russinnen Tanja und Nadja. Diese beiden Frauen hatten Angst vor ihrem eigenen Volk und flohen, als die Russen kamen, genauso wie die Deutschen. 

Als dann kurz vor der Flucht mongolische Kriegsgefangene ins Dorf kamen und Opa ihnen erklären sollte, dass sie eine verendete Kuh begraben sollten, nahmen diese beiden Männer ihr Taschenmesser und begannen, das tote Tier roh zu zerteilen und zu essen.

Meine Oma sagte, Opa kam leichenblass nach Hause und sagte: "Wir müssen hier weg. Wenn die bald Herren der Lage in Deutschland sind, dann gnade uns Gott."

Opas Auto, Opas Motorrad, Opas Pferdekutsche samst Pferd und Mamas Schäferhündin Anka waren schon längst eingezogen worden. Ihre Katzen mussten sie da lassen. Mama hat das nie verkraftet und hatte lebenslang einen Katzentick.

Meine Familie zog gemeinsam mit Omas Bruder Franz und seiner Frau Martha überstürzt nur mit einem Handwagen zu Fuß los. Sie hätten möglicherweise nicht überlebt, wenn sie nicht unterwegs großes Glück gehabt hätten.

Nicht in den Westen kamen viele ihrer Verwandten, sie starben aber nicht alle. Opas Mutter war noch in Pommern und ging nicht mit seinem Bruder mit auf die Flucht. Sie war schon über 80 und wollte da bleiben. Später erfuhr meine Familie, dass man sie ermordet nackt in einem leeren Bett gefunden hat, in dem es nicht einmal mehr ein Laken gab.

Der Opa Boords, der Schwiegervater von Onkel Franz, auch sehr alt, lief mit. Der Treck wurde von den Russen oder Polen, ich weiß es jetzt nicht genau, eingeholt, sie mussten zurück laufen, kamen nicht mehr in den Westen. Weil der alte Mann so langsam lief, schossen die Russen oder Polen ihm unterwegs in den Rücken. Die Familie bekam nicht die Erlaubnis, ihn zu begraben, sondern musste weitergehen.

Viele meiner Verwandten lebten dann bis zur Wende in der Ex-DDR. Es gab aber Kontakt.

Meine Mutter, Großeltern und Onkel Franz und Tante Martha fanden unterwegs ein verlassenes Pferdefuhrwerk mit einem gesunden und einem schwer verletzten Pferd. Opa und Onkel Franz zögerten nicht lange, sondern sahen auf einer Wiese ein gesundes Pferd, stellten das verletzte dort hin und spannten das gesunde zu dem anderen ein. So waren sie schneller.

Unterwegs wurde der Treck mehrfach von Tieffliegern angegriffen. Einmal starb neben meiner Mutter unter dem Wagen, wo beide lagen, eine Frau, der mit einer Maschinengewehrsalve der Kopf abgetrennt worden war.

Die Russen beschossen schon von hinten den Treck, als meine Familie die Demakationslinie erreichte. Auf der anderen Seite waren die Engländer, die für sie die Rettung bedeuteten, weil sie da sicher sein konnten, nicht ermordet zu werden.

An der Brücke dorthin kam es zu einer Panik. Viele Menschen wurden einfach tot getreten. Meine Familie kam lebend drüben an.

Es gab dort ein Zeltlager. Nachts kamen die Polen und haben zuerst in einem Nachbarzelt die Frauen vergewaltigt und dann alle ermordet. Meine Familie saß starr vor Angst in ihrem Zelt, als die Engländer es bemerkten und diese Polen sofort verjagt und die deutschen Flüchtlinge beschützt haben.

Von diesem Lager aus wurden die Flüchtlinge dann in Westdeutschland verteilt .. sie konnten sich nicht aussuchen, wo sie hin wollten.

Meine Familie landete bei einer Bauernfamilie an der Westküste Holsteins in Nordfriesland, dem Ort Horstedt. Onkel Franz und seine Frau gingen nach Joldelund, wo Onkel Franz die beiden unterwegs gefundenen Pferde nutzen konnte, um Milch und die Post auszufahren, was er bis zu seiner Rente tat.

Mein Opa fand zunächst Arbeit als Melkermeister in Wilhelminenhof hier in unserer Nähe, bis das Gut aufgesiedelt wurde. Danach arbeitete er noch eine Weile als Melkermeister in Scharsdorf, auch in unserer Nähe, bis er Rentner war.

Als Rentner kauften meine Großeltern mit dem günstigen Hilfekredit das Halbhaus in Schellhorn, wo ich auf die Welt kam.

Meine Mutter hat die Kriegserlebnisse nie verkraftet, warum auch immer, vielleicht auch die Vorkriegserlebnisse in der Hitlerzeit dazu nicht.

Ich habe sie nach dem Tod meiner Großeltern .. ich war damals 18 .. mein Leben lang ernährt und mich um sie gekümmert, bis sie starb. Damals war ich 59 Jahre alt.

Das ist Flucht .. und es geht sicher noch schlimmer.

Jürgen wird Euch hier später aufschreiben, wie sein Adoptivvater aus der Kriegsgefangenschaft in Sibirien lebend nach Deutschland gekommen ist. Das war z. B. schlimmer als das, was meine Leute erlebt haben.

LG Renate

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